From mythology to technology and back. Human‐animal combinations in the era of digital recombinability
Jos de Mul. From mythology to technology and back. Human‐animal combinations in the era of digital recombinability. In: Bruno Accarino, Jos de Mul und Hans-Peter Krüger (Hrsg.). Internationales Jahrbuch für Philosophische Anthropologie. Band 10 (2020)/ International Yearbook for Philosophical Anthropology. Volume 10 (2020) Katharina Block &Julien Kloeg (Eds.). Ecology 2.0 - The Contribution of Philosophical Anthropology to Mapping the Ecological Crisis. Berlin: De Gruyter, 2021, 79-97.
Who does not know the wonderful human-animal combinations in Greek mythology?[1] The Centaur, the creature with the upper body of a human and the lower body and legs of a horse; Medusa, the woman with eyes of stone, from whose head snakes grow instead of hair; Chimaera, the monster with the head of a lion, the body of a goat and a snake for a tail? They sowed death and destruction. Quite comforting that they don’t exist.
Or should we say: did not yet exist? Because human-animal combinations are among us again, and this time not as creations of mythological imagination, but as products of contemporary biotechnology, such as cybrids and chimeras. Think of mice with sizable pieces of genetic code that originated from the human genome, used in cancer and pharmaceutical research, or pigs with a human heart, that are grown for medical applications.
Such biotechnological creations evoke a lot of resistance in public debates. This resistance is partly based on rational arguments, such as health risks, but often strong emotions, like feelings of disgust, play a major role as well. Why would that be the case? All things considered, contemporary biological insights inform us that human beings, like all species, actually are already polygenomic organisms, and for that reason, fundamental biological concepts such as ‘individual’ and ‘species’ deserve considerable nuance. On closer inspection, the mythological human-animal combinations appear to contain more truth on this point than nineteenth-century biology, which was strongly driven by a separative cosmology, which still haunts common sense conceptions of life today.
In this essay I will discuss recent developments in postgenomic molecular biology from the perspective of the interconnective cosmology of Greek mythology. Not in order to claim the ‘eternal truth’ of this ancient cosmology, but to show that it contains insights that help us to better understand contemporary postgenomic biology and philosophical anthropology and to situate them in a broader world-historical context.
Ecology 2.0 Internationales Jahrbuch für Philosophische Anthropologie. Band 10 / International Yearbook for Philosophical Anthropology. Volume 10
Bruno Accarino, Jos de Mul und Hans-Peter Krüger (Hrsg.). Internationales Jahrbuch für Philosophische Anthropologie. Band 10 (2020)/ International Yearbook for Philosophical Anthropology. Volume 10 (2020) Katharina Block &Julien Kloeg (Eds.). Ecology 2.0 - The Contribution of Philosophical Anthropology to Mapping the Ecological Crisis. Berlin: De Gruyter, 2021, 318 p.
Philosophical anthropology reflects on the human condition, which is put into urgent question by today’s ecological crisis. An Ecology 2.0 has developed to meet this challenge. In this volume, contributing authors probe both theoretical approaches to ecology and the tradition of philosophical anthropology itself. The tradition bears fruit and stands to be extended beyond its usual textual bases, mirroring the sense in which questions of human existence as such take on an intensified role.
Transhumanismus aus Sicht der Philosophischen Anthropologie Helmuth Plessners
Transhumanismus aus Sicht der Philosophischen Anthropologie Helmuth Plessners. In: Olivia Mitscherlich-Schönherr (Hrsg.), Das Gelingen der künstlichen Natürlichkeit. Mensch-Sein an den Grenzen des Lebens mit disruptiven Biotechnologien. Berlin: De Gruyter, 2021, 351-365. [Open access: download the entire book for free]
Mit den Worten Unmensch und unmenschlich sollte man sparsam sein.
Helmuth Plessner
Zusammenfassung
Der Beitrag vergleicht die extra-, trans- und posthumanistischen Utopien der Menschenverbesserung mit der philosophischen Anthropologie von Helmuth Plessner kritisiert den Transhumanismus anhand der drei anthropologischen Grundgesetze, die Plessner in seinem Opus Magnum „Die Stufen des Organischen und der Mensch“ (1928) formuliert. Es wird gezeigt, dass der Transhumanismus mit Plessners erstem anthropologischen Gesetz übereinstimmt: dem Gesetz der „natürlichen Künstlichkeit“ des Menschen. Es gibt jedoch zwei wichtige Unterschiede, die den Transhumanismus zu einer radikalisierten philosophischen Anthropologie machen. Erstens wollen Transhumanisten im Gegensatz zu Plessner die natürliche Künstlichkeit nicht nur beschreiben, sondern auch aktiv befördern. Zweitens bemühen sich die Transhumanisten, das gegenwärtige Mensch-Sein in eine transhumane oder sogar posthumane Lebensform zu verwandeln. Während Plessner die Möglichkeit von Lebensformen jenseits der exzentrischen Position des Menschen nicht für möglich hält wird mit Bezug auf Bienen, Oktopoden und Craniopagus Zwillingen argumentiert, dass die Natur bereits polyzentrische und polyexzentrische Lebensformen kennt und dass die technische Realisierung dieser Lebensformen mindestens logisch nicht ausgeschlossen ist. Gleichwohl gibt es gute Gründe gibt, sich den transhumanistischen Träumen nicht begeistert zu überlassen. Plessners zweites Grundgesetz - das Gesetz der „vermittelten Unmittelbarkeit“ - lehrt, dass die Entwicklung von Techniken weder vorhersehbar noch kontrollierbar ist. Und das dritte Grundgesetz - das Gesetz des „utopischen Standorts“- macht deutlich, dass eine Überwindung der konstitutionellen Heimatlosigkeit des Menschen - wenn dies überhaupt möglich wäre - das Ende der menschlichen Lebensform bedeuten würde. In einem Einzeiler zusammengefasst: Transhumanisten lassen sich mit jemandem vergleichen, der alle Vorbereitungen für eine wilden Party trifft, zu der er selbst allerdings nicht eingeladen sein wird.
Die Ästhetiken der Philosophischen Anthropologie. Internationales Jahrbuch für Philosophische Anthropologie. Band 9 / International Yearbook for Philosophical Anthropology. Volume 9
Bruno Accarino, Jos de Mul und Hans-Peter Krüger (Hrsg.). Internationales Jahrbuch für Philosophische Anthropologie. Band 9 / International Yearbook for Philosophical Anthropology. Volume 9. Thomas Ebke & Tatjana Sheplyakova (Hrsg.). Die Ästhetiken der Philosophischen Anthropologie. Berlin: De Gruyter, 2020, 450 p.
Die Beiträge des Sammelbands zielen auf eine eingehende Bestandsaufnahme der historischen Positionen der Philosophischen Anthropologen auf dem Feld der Theoretisierung des Ästhetischen einschließlich einer Archäologie der Einflüsse und Effekte, die diese Ästhetikentwürfe in den Kunst-, Literatur- und Filmwissenschaften gezeitigt haben. Darüber hinaus wird der Versuch unternommen, prominente Theoreme der Philosophischen Anthropologie (Schelers Lehre von den Ausdrucks- und Darstellungsfunktionen der Kunst, Plessners Hypothese von der exzentrischen Positionalität des Menschen, Gehlens Topos der Kommentarbedürftigkeit der Avantgarde, Jonas' und Blumenbergs Formel des homo pictor usw.) für eine Beschreibung moderner ästhetischer Praktiken und ihrer wissenschaftlichen Explikationen, die selbst keinen expliziten Bezug zur Philosophischen Anthropologie vorweisen, fruchtbar zu machen
Die Philosophische Anthropologie und ihr Verhältnis zu den Wissenschaften der Psyche. Internationales Jahrbuch für Philosophische Anthropologie. Band 8
Bruno Accarino, Jos de Mul und Hans-Peter Krüger (Hrsg.). Internationales Jahrbuch für Philosophische Anthropologie. Band 8 / International Yearbook for Philosophical Anthropology. Volume 8. Thomas Ebke & Sabina Hoth (Hrsg.), Die Philosophische Anthropologie und ihr Verhältnis zu den Wissenschaften der Psyche. Berlin: De Gruyter, 2019, 398 p.
"Gemessen an der zum Zeitpunkt des Entstehens der philosophischen Anthropologie noch teilweise gegebenen wechselseitigen Offenheit führen die Geisteswissenschaften heute ein weitgehend auf den eigenen Bereich zurückgezogenes Leben, und ein selbstbewusster Ausgriff etwa von Seiten der philosophischen Anthropologie auf die Lebenswissenschaften und die Wissenschaften von der Psyche wird selten gewagt. Hier ist der besprochene Jahresband eine nicht hoch genug zu schätzende Ausnahme, die allerdings nach Ansicht des Rezensenten noch selbstbewusster vonstatten gehen könnte. Hermeneutisches, epistemologisches, auf Semantik und z. B. Daseinsanalyse gehendes Denken muss vor den Grenzen der Naturwissenschaft nicht Halt machen. Ein zunächst zeit- und ortsgebundene Qualitäten als Unikate konstatierender und reflektierender, dann erst, wo angebracht, diese skalierender Weltentwurf kann selbst-bewusst dem naturwissenschaftlich-skalierenden beigesellt werden. Entsprechend gliedert sich die nachfolgende Rezension in zwei Teile. Einmal bespreche und kommentiere ich Kapitel, zu denen ich aus beruflichem Hintergrund etwas zu sagen habe. Zweitens begründe ich, weshalb eine philosophisch-reflektierende Betrachtungsweise der Gegenstände der Naturwissenschaft berechtigt ist, und wie sie nach Ansicht auch der mit dem Rezensenten publizierenden Autorengruppe durchgeführt werden könnte. Die im Buch für die Wissenschaften der Psyche referierten Einsichten sind somit auf eine Auffassung von Naturgeschehen insgesamt auszudehnen."
Die Tier-Mensch-Differenz in der Philosophischen Anthropologie, in der Psychoanalyse und der Psychologie. Internationales Jahrbuch für Philosophische Anthropologie. Band 9
Bruno Accarino, Jos de Mul und Hans-Peter Krüger (Hrsg.). Internationales Jahrbuch für Philosophische Anthropologie. Band 8 / International Yearbook for Philosophical Anthropology. Volume 8. Thomas Ebke & Sabina Hoth (Hrsg.). Die Tier-Mensch-Differenz in der Philosophischen Anthropologie, in der Psychoanalyse und der Psychologie. Berlin: De Gruyter, 2019, 324 p.
Polyzentrizität und Poly(ex)zentrizität: neue Stufen der Positionalität? Zu Telerobotern, Craniopagus-Zwillingen und globalen Gehirnen
Jos de Mul. Polyzentrizität und Poly(ex)zentrizität: neue Stufen der Positionalität? Zu Telerobotern, Craniopagus-Zwillingen und globalen Gehirnen. In: A. Henkel & G. Lindemann (Hrsg.) Mensch und Welt im Zeichen der Digitalisierung. Baden Baden: Nomos, 2019, 187-207.
In diesem Kapitel untersuche Ich die Möglichkeit einer nächsten Stufe der Positionalität jenseits der Stufe der exzentrischen Positionalität, wie sie Plessner in Die Stufen des Organischen und der Mensch eingeführt hat. Ich stelle zwei mögliche Kandidaten für eine nächste Positionalitätsstufe vor. Die erste Möglichkeit betrifft telerobotic experiences (telerobotische Erfahrungen), über die Howard Rheingold in seinem Buch Virtual Reality von 1995 berichtete und auf die ich in meinem Freiburger Vortrag von 2000 zurückgegriffen hatte. Entsprechende telerobotische Experimente wurden in jüngerer Zeit von Wissenschaftlern wie dem japanischen Roboterforscher Hiroshi Ishiguro in seinen Experimenten mit geminoiden Robotern noch systematischer und detaillierter fortgeführt – mit androiden Robotern, die existierenden Personen gleichen, im Falle von Ishiguro ihm selbst. In diesem Kontext werde ich diese künstlichen Formen der Polyzentrizität zudem mit deren natürlichem Gegenstück vergleichen: der sogenannten Schwarmintelligenz (hive mind) sozialer Insekten. Als zweiten Kandidaten einer möglichen nächsten Positionalitätsstufe
werde ich die sogenannten Craniopagus-Zwillinge diskutieren. Es handelt sich dabei um Zwillinge, die an Kopf und Gehirn verbunden sind. Weil sie so Teile des Thalamus teilen (einen Bereich des Gehirns, der für das Bewusstsein eine wichtige Rolle spielt), sind sie in der Lage, wechselseitig ihre Gedanken zu lesen. Obwohl Craniopagus-Zwillinge ein sehr seltenes Naturphänomen sind, könnte die Form von Positionalität, die sich in ihnen ausdrückt, als Vorreiter jener künstlicher Formen poly(ex)zentrischer Positionalität angesehen werden, die die Form künstlicher Thalamus-Brücken (artifical thalamic bridges) annehmen. Diese könnten ein zentrales Element in der Konstruktion sogenannter globaler Gehirne sein und eine menschliche Schwarmintelligenz begleiten.
Dezentrierungen. Zur Konfrontation von Philosophischer Anthropologie, Strukturalismus und Poststrukturalismus
Bruno Accarino, Jos de Mul and Hans-Peter Krüger (eds.). Internationales Jahrbuch für Philosophische Anthropologie. Band 3 / International Yearbook for Philosophical Anthropology. Volume 3. R. Becker, J. Fischer & M. Schloßberger (eds). Dezentrierungen. Zur Konfrontation von Philosophischer Anthropologie, Strukturalismus und Poststrukturalismus. Berlin: Akademie Verlag, 2012, 364 p.
Die Philosophische Anthropologie ist in der Forschung bislang vor allem zum Existenzialismus und zur Kritischen Theorie in Beziehung gesetzt worden. Das erstaunt wenig, wenn man die Wirkungsmacht dieser beiden Pradigmen bedenkt.
Ertragreicher ist jedoch der bisher vernachlässigte Vergleich mit Strukturalismus und Poststrukturalismus, da hier der Anteil an gemeinsamen Problemen und Fragestellungen größer ist, was jede Diskussion von vornherein interessanter macht: Berührt sich die Philosophische Anthtropologie mit dem Strukturalismus nicht insofern in einer Abkehr vom Historismus, als beide Traditionen nach der Rolle durchlaufender Strukturen fragen, die den Zugang zu den Phänomenen regulieren? Und trifft sie sich nicht zugleich mit der vom Poststrukturalismus artikulierten Kritik an der Verabsolutierung dieser Regelsysteme, wenn sie auf der Geschichtlichkeit und Lebendigkeit der Praktiken besteht, in denen die Subjekte ihre Identität erst ausbilden, aber auch aufs Spiel setzen? Die Beiträge des Bandes zeichnen das Streitgespäch zwischen den drei Strömungen nach und diskutieren deren Gemeinsamkeiten.
Zeitenwende. Wie die digitale Revolution unsere Wahrnehmung von Geschichte verändert
Jos de Mul. Zeitenwende. Wie die digitale Revolution unsere Wahrnehmung von Geschichte verändert. Kulturaustausch. Zeitschrift für internationale Perspektiven. 59. Jahrgang, no. 3 (2009), 76
Der Computer ist eine Zeitmaschine. Er verwandelt unsere Wahrnehmung und er verändert unser Verständnis von Zeit. Mehr noch: Er untergräbt unser historisches Bewusstsein. Die digitale Welt revolutioniert unsere Zeiterfahrung.
In der westlichen Kultur ist das aus dem Altertum stammende zyklische Geschichtsverständnis unter Einfluss der christlichen Heilsgeschichte zunehmend der Überzeugung gewichen, dass sich Geschichte in einer unumkehrbaren, geradlinigen Bewegung vollzieht. Dieses historische Bewusstsein, das seinen Ursprung im 19. Jahrhundert hat, begreift die Wirklichkeit nur in ihrer chronologischen Entwicklung. In den Geisteswissenschaften interpretierte man Sprache, Moral oder Kunst aus ihrer Geschichte heraus.